Ergötzende Experimente (Tag 79-81)

Fast 80 Tage lang ist mein Rad mein treuester Begleiter gewesen. Wir verbrachten Tage zusammen, und Nächte; meisterten Anstiege gemeinsam, und Abfahrten – und zumindest ich habe es unheimlich lieb gewonnen. Doch nun, erstmals, hat sich mein Rad offenbar von mir abgewandt – und dazu entschlossen, vorauszufahren:

Schließlich befand es sich bereits einen halben Tag nach meiner Ankunft in San Francisco im Radkarton auf dem Weg nach Göttingen – zu einer Zeit, als ich noch nicht einmal im Flieger saß. Und zwar noch nicht einmal im Flieger nach New York – denn ich flog nicht direkt nach Deutschland zurück, sondern zunächst an die Ostüste, um  meinem Reisepartner David noch einen Besuch abzustatten, ehe ich zwei Tage später endgültig in meine Heimat zurückkehrte.

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Es war also irgendwie ein interessanter Test, zu sehen, wer schneller wieder in Deutschland sein würde: Das Rad – oder ich. Genau genommen waren wir also plötzlich nicht länger ein unzertrennliches Duo, sondern Konkurrenten in einem Wettbewerb. Doch ich vertraue im Gewinnsinne einfach dem Credo: „Der Letzte wird der Erste sein!“
Diese Wettfahrt zwischen Mensch und Maschine sollte nicht das einzige Experiment auf meinen abschließenden zweieinhalb Reisetagen bleiben…

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Paradiesischer Lernort oder lernbefreites Paradies? Die Stanford University!

Nachdem ich mir die Elite-Uni in Stanford angeschaut hatte (die wirklich ein imposantes Bild abgibt und mehr an ein Feriendorf erinnert denn an einen Ort zum Büffeln), musste ich am Flughafen San Franciscos in den ersten Flieger steigen. Und dort folgte – schwupps – auch schon mein nächstes Experiment:
Die Gepäckbestimmungen hatten mich darauf hingewiesen, dass scharfe, spitze, und massive Gegenstände an Bord verboten seien.
Und weil man überall von den kritischen Gepäcküberprüfungen hört, konnte ich mich nicht dagegen erwehren, auszutesten, wie penibel die Sicherheitskräfte wirklich sind. Aus diesem Grund packte ich sowohl ein scharfes als auch ein stumpfes Objekt in mein Handgepäck ein: das scharfe war eine große Dose Fisch (die während der Tour als Notnahrung gedient hatte, aber ebenso wie mein Not-Powerbarriegel nie angerührt worden war) mitsamt seinem scharfkantigen Metalldeckel; das stumpfe Objekt waren zwei massive Schlösser. „Vielleicht“, so hoffte ich tief in meinem Inneren wohl, „werden mir der (mittlerweile verdorbene?) Fisch sowie die (enorm schweren!) Schlösser ja leider  abgeknöpt! Es könnte wahrlich Schlimmeres geben!“
Doch ich hatte Glück. Oder Pech – wie immer man es ausdrücken will: Jedenfalls wurde ich trotz kritischster Inspektion durchgewunken.

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Das dritte Experiment hatte seinen Ursprung in einer Aktion, die sich einige Stunden später zutrug. Und ich muss gestehen, dass es mich noch immer ein wenig stolz macht: In New York City ist der Flughafen – o Wunder – ziemlich groß. So groß, dass ich Schwierigkeiten hatte, den Bereich zu finden, in dem das Gepäck – auf Förderbändern im Kreis fahrend – zur Abholung bereit liegt.
Als ich realisierte, dass mich die Beschilderung offenbar veräppelt, da setzte ich mich (wahrscheinlich aus trotziger Verzweiflung – aber geweint, keine Sorge, habe ich nicht…) erst einmal in einem Fastfood-Restaurant nieder.
Und wie es der Zufall eben wollte, setzte sich ein Sicherheitsbeamter des Flughafens direkt neben mich an den Tisch.
Wir schnackten kurz – und nach unserem (wenn man das so ausdrücken mag) „gemeinsamen Drink“ führte er mich in den unauffindbaren Gepäckbereich. Als wenn diese Fügung noch nicht glücklich genug gewesen wäre, erwartete mich direkt nach Betreten des Raumes das nachfolgende Bild:

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Direkt vor mir lag meine Gepäcktasche, die offenbar jemand von dem Band herunter genommen hatte.

Diese Erfahrung nutzte ich – natürlich – auch auf meinem Rückflug nach Deutschland: In Frankfurt angekommen, dachte ich erst gar nicht daran, allen anderen gestressten Fluggästen in den Gepäckraum zu folgen.
Statt dessen setzte ich mich erst einmal gepflegt in ein McDonalds, las ein wenig – und machte mich erst nach einigen Buchseiten daran, den Gepäckraum aufzusuchen. Mein Experiment trug Früchte. Denn auch hier erwartete mich im Gepäckabholungsraum das nachfolgende Bild.

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Es war ein Anblick, der keinen Zweifel daran ließ, dass offenbar mittlerweile auch jemand anders meine Idee umsetzt hatte (wobei im Übrigen der Grund dafür, dass ich plötzlich eine schwarze Tasche mein eigen nannte, der Tatsache geschuldet ist, dass in New York meine Doppeltasche nicht als eine Reisetasche akzeptiert worden war – und ich mich entschlossen hatte, umzupacken statt nachzuzahlen!).

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Ehe ich nach Hause flog, besuchte ich noch David im 250 Kilometer von New York entfernten Hartford – ein tolles Wiedersehen, ohne Zweifel.
Gewissermaßen war auch die Frage, wie ich völlig planlos und übermüdet sein Haus erreichen würde, ein Experiment für sich. Doch die Busse funktionierten prima.
In West-Hartford angekommen, gab es abends eine Willkommens-Party – und am nächsten Tag schlenderte ich durch die 130.000-Einwohner-Stadt. Ja – unglaublich, aber wahr: zu Fuß und mit dem Bus, nicht auf einem Fahrrad.  
Abends ging es (und ich!) mit Davids Tochter noch auf ein ansehnliches (und anhörliches) Open-Air-Jazz-Festival im Stadtpark. In diesem Moment – seine Tochter ist etwa in meinem Alter – wurde mir noch einmal vor Augen geführt, dass mein Reisepartner David im Hinblick auf die Lebenserfahrung tatsächlich gut und gerne mein Vater oder Onkel hätte sein können.
Man könnte meinen, dass es nicht sonderlich schlau sei, am späten Abend auszugehen, wenn am nächsten Tag ein Flug bevorsteht. Aber auch dieses Vorgehen war Bestandteil eines Experiments, das bereits beim Hinflug in die USA erfolgreich verlaufen war: „Den Jetlag einfach mit einem Schlafdefizit austricksen!“

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Es war in New York, kurz vor meinem Abflug nach Frankfurt, als das letzte Experiment meiner Reise folgte: Und damit meine ich nicht die Tatsache, dass ich (ungewollt!) ausgetestet habe, ob man sich vor einem internationalen Flug wirklich – wie gefordert – drei Stunden zuvor am Flughafen einfinden muss (die Antwort: Nein – 1:55 Stunden reichen auch!).

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Sondern eigentlich meine ich ein Experiment, das mit der Englischen (Aus)Sprache zu tun hat: Bei Starbucks Coffee bestellte ich nämlich einen Kakao – und dort wird immer der Name des Kunden auf den Becher gekritzelt, um ihn rufen zu können, sobald das Getränk zubereitet ist. Und mein Name bereitet den Amerikanern offenbar ziemliche Schwierigkeiten: So wurde ich bei Starbucks bereits als „Tebu“, „Temur“, „Teemo“, und  „Teemou“ bezeichnet – nie aber als „Timo“.
Logisch: Denn in Amerika entspricht der Buchstabe „i“ ja auch dem Laut „e“/“ee“.
Mit dieser Information im Hinterkopf, plante ich für meine nächste Bestellung einen Geniestreich: Auf die Frage nach meinem Namen würde ich einfach das Wort „Time“, also Zeit, nennen.
Dies war einerseits ein – mit nur einer Silbe – sehr kurzes Wort. Andererseits eines, das mir ein echtes „i“ bescheren würde, und nicht etwa ein „ee“. Drittens ein Wort, das sich nur in einem einzigen Buchstaben von meinem Namen unterschied. Und zu guter Letzt eines, das den Amerikanern bereits aus ihrem Sprachalltag bekannt ist.

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Mein Plan ging auf. Ich wurde nicht enttäuscht: Auf meinem Becher stand schlussendlich „Tim“.
Warum sie das abschließende „e“ vernachlässigt haben, ist mir ein Rätsel. Was ich allerdings weiß, ist, dass ich während meines Trips meinem wahren Namen bei Starbucks noch nie so nahe gekommen bin.

Und während ich nun so über dieses abschließende Experiment sinnierte, wurde mir eines bewusst: „Ob ‚Tebu‘, ‚Temur‘, ‚Teemo‘, oder ‚Teemo‘ – hauptsache, du bist bald wieder in Deutschland, TIMO, wo die Leute, wenn sie ‚i‘ sagen, auch tatsächlich ‚i‘ meinen…“

Der Vierzeiler der Abschlusstage:
Manchmal ist meine Neugierde ungebrochen;
und sie zwingt mich, zu experimentier’n, zu forschen, zu fragen;
ich hoffe, ich legte damit niemandem Steine in den Magen;
Denn veräppeln oder schädigen wollte ich nicht – versprochen!

Die Frage der Abschlusstage:
Entsammen die beiden Worte „aussortiert“ und „assorted“ (=gemischt, allerlei, verschieden) dem selben Ursprung?

Tourdaten:
Start: San Francisco
Ziel: Frankfurt
Distanz: Distanz SF -> NYC -> Hartford -> NYC -> Frankfurt
Fahrzeit/Flugzeit: 22 Sunden
Gesamtzeit: rund drei Tage

Ein Kommentar zu “Ergötzende Experimente (Tag 79-81)

  1. Um deine Frage beantwortet zu bekommen, musst du Bill Bryson schreiben. Er hat gerade ein Buch herausgebracht, das der Wurzel der englischen Sprache nachgeht….

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